«Ich denke, wir sind nahe dran an einer transparenten, inklusiven und förderorientierten Notengerechtigkeit im Brunnacker.» Sonja Brunner lächelt ins Plenum und verweist auf den Wald an bunten Flip-Charts in ihrem Rücken. «Zentral bleibt der Kernsatz aus dem unserem Beurteilungskonzept: «Hinter jeder Note steht nicht mehr eine Lehrkraft, sondern reine Kompetenz.» Anja, du hast dieses pädagogische Axiom definiert. Kannst du es nochmals kurz erklären?» – Anja blickt hastig auf ihren vorbereiteten Zettel und stammelt: «Es geht weniger … äh, mehr … um die Prozessdiagnostik als um die … Statusdiagnostik, ich meine, in der Beurteilung. Wenn wir die Grenzen unseres pä… pädagogischen Handelns proktrum… äh, rektum…, … sorry, ich les’ es lieber ab: prä-aktional, aktional und post-aktional kritisch analysieren, wird es uns gelingen, Handlungsalternativen zu definieren.»
«Genau, danke für das Stichwort. Und diese Handlungsalternativen bedeuten konkret nichts anderes, als dass Patrizias Aufsätze post-aktional in der WAH-Lektion bei Edith landen, wo sie notenmässig etwas nachreifen können. Wir nutzen dabei auch die Schwarm-Intelligenz und das Peer-to-Peer-Feedback der Klasse. Erfahrungsgemäss geben sich Schülerinnen und Schüler auch keine ungenügenden …»
«Schleift’s noch? Wenn meine Aufsätze von Ediths Kiddies benotet werden, müssten Marcos Beurteilungen der Physik-Experimente wohl von Steve ausgependelt werden.» «Auspendeln? Metaphysik trau ich mir schon zu. Wobei das Pendel die Kompetenz an und für sich verkörpert. Es schwingt und besteht selbst aus Schwingung. Ich persönlich trage nichts zum Resultat bei.» – «Ja, das ist wohl allen hier bekannt», wirft Sonja ein. «Du darfst pendeln, solange deine Schwingungen zu einer 4,5 führen.
Zurück zu unserer Notengebung. Wir haben als Team schon viel erreicht: Ein Hinweis auf ein beliebiges Lernziel und ein solides Bewertungsraster, und schon wird aus jeder unangekündigten Blitzprüfung ein wissenschaftliches Assessment. Auch positiv formulierte Rückmeldungen helfen gegen Kritik der Eltern, seit wir grobe Mängel der Lernenden als Entwicklungspunkte wie beiläufig einstreuen. Wir verteilten seit der Weiterbildung zum Beurteilungskonzept auch mit merklichem Erfolg massiv mehr Motivationskleber. Und selbst die mangelnde Akzeptanz von Tiefnoten seitens unserer Kunden könnten wir in den Griff bekommen, wie das heutige Beispiel zu Patrizias Aufsätzen zeigt. Der negative Faktor Mensch wird gewissermassen durch einen weiteren negativen Faktor Mensch logischerweise aufgehoben.» Mit ein paar geheimnisvollen Minus-Symbolen und Mal-Zeichen erklärt Sonja ihren Gedankengang. «Die Endproblematik bei der Notengebung liegt nur noch im bemerkenswerten Noten-Gap zwischen euch, Anja und Patrizia, die ihr die gleichen Fächer unterrichtet. Eine Note Unterschied, und ihr beide unterrichtet dasselbe Fach…»
«Das gleiche Fach? Bei mir wäre es Französisch; bei Anja…» Patrizia zuckt mit den Schultern und zieht die Augenbrauen hoch.
«Dis donc, Modamm! Schee barlö froonzääse bärfäggt. Und meine Klasse ist plus bon, weil sie selbständig – ändi-füdi-ell – arbeitet und bewertet, wie es von der PH propagiert wird. Und mein pauschaler Schnitt von 5 schafft nicht zuletzt auch Gerechtigkeit gegenüber den Privatschulen an der Gymi-Prüfung.»
«Deine Klasse geht mit Fabelnoten an die Gymi-Prüfung, und trotzdem schafft sie kaum jemand… Ich hoffe, dass wenigstens die Schulleitung einen qualitativen Unterschied zwischen unseren Klassen erahnt und auch die Unterrichtskompetenzen in die MAB einbezieht.»
«Ich erahne vieles…» – Sonja zieht mit einem transzendenten Blick die Aufmerksamkeit auf sich und faltet die Hände – «und gebe euch beiden recht: Eine 4 kann gleich gut wie eine 5 sein! Was aber mein MAB betrifft: Hier geht’s nicht um eine ideelle, reine Kompetenz wie bei euren Noten, nein, die Wertungen im MAB liegen vollumfänglich in … meiner Kompetenz. Auch dieses Axiom stützt unsere Schulkultur.»