Ach – wie hasse ich doch diese Treffen!
«Liebe Lehrkräfte der letzten 6. Klassen, Susanne, Petra und Patrik, liebe Sek- Lehrkräfte, Patrizia, Anja und neu auch Bernie. Ich begrüsse euch ganz herzlich zu unserer alljährlichen Austauschsitzung hier im Schulhaus der Oberstufe. Die Sandwiches sind vegan und das Mineralwasser…» – «Gibt ja leider keinen Weisswein mehr, hehehe!» – «Ja, lieber Bernie, als frischgebackener Klassenlehrer der 1. B/C erwarte ich nun doch eine seriösere Mitarbeit von dir! – Item, ich schlage vor, dass wir uns zu Beginn den aktuellen Standort der frischen 1. Oberstüfler kurz schildern lassen, ihre Stärken und dann auch die Baustellen erwähnen und dadurch unseren Gästen von der Primarstufe ein Feedback…» – «Davor möchte ich aber noch kurz daran erinnern, dass ich meine Klasse nur im 1. Semester unterrichtet habe – ich war ja im Mutterschaftsurlaub und Patrik musste da…» – «Ja, Susanne, das wollte ich auch gerade sagen, das war eine strube Zeit für mich, so mit Doppelklassenlehrerfunktion. Und im 2. Semester habe ich ja dasselbe auch für Petra gemacht, die ja jetzt – Gott sei Dank – wieder da ist.» – «Jahaa, aber deswegen sollten sie trotzdem être und avoir konjugieren können», murmelt Patrizia säuerlich. «Sie singen immer irgend so ein Lied: Moi, vouloir être un chat… , haben aber von je veux – je suis – nun aber gaaar keine…» – «Im Franz habe ich eben oft Klassenrat gemacht, weil ich in meiner Funktion als Doppelklassenlehrer…», verteidigt sich Patrik. «Aber im Lehrplan 21 steht da glaasklaar, dass die Schülerinnen und Schüler Ende der 6. Klasse…» Ich spüre Anzeichen einer aufziehenden Migräne.

«Liebe Kolleginnen und Kollegen, verliert euch bitte nicht wieder in Diskussionen über den Lehrplan 21. Das hatten wir letztes Jahr und es endete fürchterlich!» «Ja, sicher, deswegen habe ich in meiner B/C-Klasse ja alle Kompetenzlosen, hehehe!», gackert Bernie.

Dann zeige ich euch nun doch einfach mal die Resultate des Lesekompetenztests, den ich letzte Woche mit meinen A-Schülerinnen und Schülern gemacht habe.» Patrizia schiebt zwei A4-Blätter in die Mitte des Tisches. «Kurt und Sarah waren im Deutsch halt meist in der IF und haben Exekutive Funktionen trainiert», bemerkt Patrik. «Ja, unser Heilpädagoge redet auch immer von diesen exklusiven Funktionen – was ist das eigentlich?», möchte ich wissen, aber Bernie unter- bricht mich: «Aber Zuuuhören, das können sie jedes Jahr weniger. Ich stehe oft da wie ein altes Grammophon…» – «Im Churer-Modell ist das zweitrangig», macht Petra klar. «Da ist Eigeninitiative gefragt!» – «Warum geht denn das mit dem Wochenplan so gar nicht?», gibt Patrizia bissig zurück. «Das haben eben Sven und Laura in ihren Gruppen gemanaged, aber die sind jetzt im Gymi…» – «Apro- pos Gymi», Bernie wühlt in seinen Unterlagen, «stimmt es, dass dieser Sandro Stradivari, hier auf meiner Liste gestrichen, die Gymi-Prüfung bestanden hat?» – «Ja, den wollten wir eigentlich zu dir ins C…» – «Nein, das ging anders!», präzisiert Susanne. «Sein Vater hat am Übertrittsgespräch – du warst ja dabei, Bernie – so blöd getan, dass ich ihm danach empfohlen habe, seinen Sohn an die Gymiprüfung zu schicken. Ich war ja damals im neunten Monat…»

Ich versuche zu beschwichtigen: «Bitte, bitte, bleiben wir auf der Sachebene. Ich möchte die Zeit im Auge behalten und euch auffordern, noch mögliche Umstufungen zu diskutieren. Das gibt ja immer Chrämpf. Vor allem, wenn es sich um Abstufungen handelt.»
«Das läuft bei mir dann intern», bemerkt Bernie trocken, «ich schraube einfach das B aus meinem 1. B/C – Türschild ab und das Niveau stimmt!»
Nun knallt mir die Migräne voll in die Schläfen. Vielleicht hätten wir doch Weisswein servieren sollen. Früher waren diese Treffen viieeel lockerer.

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