«Wir kommen zu Punkt 9: Abschlussfest.» eröffnet Sonja Brunner, die sich in gewohnt nebulöser Sitzungsführung durch den Dschungel der Traktandenliste mäandriert hatte. Sie sei froh, dass heute eine Vertreterin der Kreisschulpflege anwesend sei, was Raum zu einer Grundsatzdiskussion über das Wesen dieses Abschlussfestes eröffne. Diese Vertreterin bin ich, Ruth Varkidakis. Dieses verstaubte Fest verdient eine neue Perspektive, einen Relaunch. Da liegt so viel ungenutztes Potential brach. Schade nur, dass die Lehrpersonen sich bei jedem Anzeichen von frischem Wind in die Defensive gedrängt sehen. – Döbeli hebt die Hand; das verheisst nichts Gutes. Er plädiere für eine neue Aufgleisung des Schulsilvesters. Allgemeines Gemurmel erhebt sich. Dieser Mann versteht es, mit der Wahl eines einzigen Wortes, das ganze Kollegium in die gewünschte Richtung zu lenken – Schulsilvester! In diesem Fall ist das allgemeine Chaos Ziel von Döbelis Intervention. Es folgen erste ungeordnete Reaktionen aus der Runde: Der Silvester sei verboten worden, und die Jugendlichen, wie er sie eben kenne, stünden eh auf Halloween, meint Bernie Schmalz.
«Halloween? Ein heidnischer Brauch in der Weihnachtszeit? So verrate man seine Werte!», bellt es vom Ende des Tisches zurück. Wo bleibt die Brunner? Wieder einmal lässt sie die Zügel schleifen.
Schliesslich versucht Stefan Hilfiger die Wogen zu glätten. Er habe dieses Hickhack geahnt und darum zwei Delegierte des Schülerparlaments organisiert, die vor der Türe warteten. – Versucht hier eigentlich auch jemand ohne Manipulation seine Ziele zu erreichen? – Betretenes Schweigen, vielsagende Blicke, erhöhte Atemfrequenz. Die Brunner wünscht sich wohl, sie hätte mich nie eingeladen.
«Schülerinnen- und Schülerparlament? Äh… gute Idee. Schliesslich geht’s ja um unsere Jugendlichen. O.k., Steve, hol die Delegierten rein!» Der Sozialarbeiter strahlt, Aitena und George packen ihr ein wenig zerknautschtes, aber mit sichtbarer Leidenschaft kreiertes Flipchart-Poster aus. «Also, wir haben in der Projektarbeit eine Umfrage machen müssen», erklärt George, «Das Dunkle auf der Grafik da sind 70% von denen, die ich gefragt habe, und die sind für eine Disco. Das Helle hier sind die anderen, und denen ist’s egal.» Disco? In diesem Schulhaus ist selbst die Jugend reaktionär.
Zeit für meinen Einsatz: «Wie wäre es, wenn wir im Sinne des gesamtheitlichen, interkulturellen Ansatzes eine Öffnung dieses bünzligen Festes herbeiführen würden? Spontan fallen mir ein Sonnenwende-Ritual oder Kolo, der serbische Kreistanz, ein.» Überraschtes Schweigen allerorten, einen solchen Coup hätten sie mir nicht zugetraut. Aus der noch undeutbaren Polyphonie spontaner Zustimmung erhebt sich schliesslich Bernie Schmalz’ Stimme: Wenn man da Schülerparlament ernst nehmen wolle müsse man sich auf die Disco und vielleicht noch wenige Themenzimmer konzentrieren, wie es sich ja eigentlich bewährt habe. Er wäre bereit, zusammen mit Schülerinnen und Schülern das OK zu übernehmen.
Darauf folgt der klassische Abstimmungskampf mit seinen Diskussionen zur Verbindlichkeit eines potenziellen Resultates den Ordnungsanträgen und Einwänden zur Abfolge der Teilabstimmungen. Kann man wirklich über die Inhalte befinden wenn noch nicht feststeht wie lange da Fest dauern wird? Im Sperrfeuer von Vorschlägen, Einwänden und rhetorischen Fragen erlebt die Konferenz ein seltene Aufblitzen des Brunnerschen Machiavellismus. Ihre Zusammenfassung der Beschlüsse lässt die Anwesenden vergessen, das gar nie eine Abstimmung stattgefunden hat: «Im Sinne der partizipativen Ausrichtung unseres Leitbildes und im Bemühen effizient und flexibel auf Veränderungen in der Gesellschaft zu reagieren, werden die Vertreterinnen der Behörde und de Elternrats fortan die kulturellen Schwerpunkte am Jahresabschlussfest einbringen. Ruth, du hast freie Bahn für deinen Kolo. Und wie ich Annador Hundsiker vom Elternrat kenne, wird sie uns gewiss ein dynamisierendes Ritual auftischen.» Da gebe eine Heidenbüez, aber «wir machen es für unsere Kidies!»
Das euphorische «Wir» ist zuviel für Patrizia Partelli: «Das heisst wohl wieder, dass alle die begeistert Partei für das neue Konzept ergriffen haben wegen ihren Teilpensen für die Organisation gar nicht in Frage kommen oder an der «Brunnacker Cultural Night» durch «wichtige» private Verpflichtungen verhindert sind. Am Schluss sind «wir» wieder einzig die Klassenlehrer!» Im allgemeinen Gemurmel gehen Brunners salbungsvolle Schlussworte beinahe unter und alle alle verspüren sie die Sehnsucht nach dem Fest des Friedens und der Zeit der Stille.
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