Eigentlich ist der Fall ganz klar. Aber ich weiss zu viel.

Sonja Brunner, die Schulleiterin im Brunnacker, hat mich um eine «diskrete, niederschwellige Intervention» gebeten. Ich möge ein Standortgespräch führen und die Wogen glätten. Sie halte dies nicht durch. Ich als Schulpflegerin sei dazu prädestiniert und dann hätte ich ja noch diesen Kurs in «Gewaltfreier Konfliktlösung durch Eutonie» mit Steve Hilfiker besucht. Dann schilderte sie mir, was mir Annador Hunziker vom Elternrat bereits im Coop erzählt hatte: Kevin Brönnimann weigere sich plötzlich, mit seiner Mutter zusätzlich Franz zu üben. Schaltet auf stur und wehrt sich mit Bibelzitaten gegen die pädagogische Präsenz seiner Mutter. ‚Selig sind die Armen im Geist’, habe der Jüngling süffisant als Grund für seine akute Lern- hemmung genannt. Hängen, sprich Meditieren, sei eine Form von Genügsamkeit und Demut. Das habe Herr Döbeli in Religion und Kultur erklärt. Von diesem Tag an sei jeder Versuch gescheitert, Kevin von seinen religiösen Schwärmereien wieder in die harte Realität des Lebens zurückzuholen. Als dann der Sohn auch tibetische Gebetsmünzen in seinem Zimmer ausgelegt und darauf bestanden habe, dass sich ihm die französische Orthographie nur im Dunst von Räucherstäbchen erschliesse, sei der Geduldsfaden von Mutter Brönni- mann gerissen. Dabei hatte sie für ihren Sohn eine Umstufung in die Sek A vorgesehen und sah nun ihre Felle davonschwimmen. Umgehend kontaktierte sie ihren Intimfeind Döbeli, der Kevin in einem Elterngespräch einmal herablassend als typischen B-Schüler bezeichnet hatte.

Dieser meldete sich vom Weggen- schiessen in Adliswil, verwechselte im Kugelhagel «Kevin» mit seinem Schüler «Amin» und begann dann in bruchstückhaftem Hochdeutsch zu erklären, warum RuK auch für Muslime wichtig sei.  Verständlich also, dass Frau  Brönnimann erzürnt die Schulleitung kontaktierte, wo man ihre Nummer bereits gespeichert hatte. Sie beschrieb den Fall und einige weitere unhaltbare Zustände im Unterricht von Döbeli, die ihr andere Mütter beschrieben hätten. Auch dass Döbeli Kevin immer «Home Alone» nenne, wenn er wieder einmal mit einer nicht unterschriebenen Prüfung anrücke, reiche eigentlich schon für eine Entlassung. Schliesslich wisse der Lehrer, dass sie alleinerziehend sei und ausserdem unterschreibe sie die Prüfungen wegen Vorbehalten bei der Bewertung nicht. Zum Wohle der Schülerinnen und Schüler sei es unabdingbar, dass diese alten Geschichten mal aufs Tapet kämen, aber in einen Konflikt mit «dem Tubeli» wolle sie nicht hineingezogen werden.

In der Schulflege haben wir Döbelis mangelnde Political Correctness schon mehrfach thematisiert, aber ein Coaching meinerseits lag dann doch nicht drin, weil Sonja befürchtete, ihn als Wahlfachkoordinator zu verlieren.

Auch die Brönnimann ist ein Dauerthema. In der Unterstufe ihr Kampf gegen die Verwendung von Elmex-Gel bei der Kariesprophylaxe. Dann ihre Privatfehde mit der 6. Klass-Lehrerin, die Kevin als B-Schüler vorschlug. Von Steve, dem Schulsozialarbeiter, weiss ich, dass Kevin vor lauter Lebensplanung seiner Mutter kaum mehr atmen kann; dass der Gitarrenunterricht zur Steigerung der Intelligenz, der Judo-Kurs nach den Hänseleien und die Anmeldung zur Begabtenförderung zu viel gewesen seien. Kein Wunder rebelliert der Sohn.

Eigentlich ist der Fall ganz klar: Kevin braucht vor allem Verständnis und Begleitung, seine Mama einen Monat Ferien und fünf Jahre Therapie, und den Döbeli sollte man mit 48 vorzeitig pensionieren. – Aber leider hat es dieser

«Tubeli» wieder einmal geschafft, dem Standortgespräch eine ganz andere Wendung zu geben…


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