Vor der Schulzimmertüre sitzend, die abmontierte Klinke in der Linken, geht der erste Schultag nach den Ferien zu Ende.

Dabei hatte der Tag so vielversprechend begonnen: Die Sonne begleitet mich am Montagmorgen, zieht sich jedoch kurz vor dem Schulhaus hinter ein Wolkenband zurück. Ganz ähnlich ergeht es meiner Motivation, als ich das Lehrerzimmer betrete. Die Kolleginnen und Kollegen sind noch voll im Gspürsch-mi-Modus, als Patrizia mir bereits die Traktandenliste für die Schulkonferenz reicht. Die Brunner hat’s mal wieder verpeilt, das Dokument auf dem sharepoint pünktlich abzulegen. Was macht die eigentlich in der unterrichtsfreien Zeit?! Ich entscheide mich dafür, dass ich es doch lieber nicht wissen will und lecke mir noch den letzten Tropfen getrocknetes Meerwasser von meinem linken Mundwinkel ab, bevor ich die einzelnen Themen halbinteressiert querlese. Ich blicke ernüchtert in die Runde und klappe meinen Laptop auf, von dem ich glaube, ein mitleidiges Seufzen zu hören. Nach drei Klicks ploppen auch schon elf neue Nachrichten in meinem Posteingang auf. «Was steht hier schwarz auf weiss? Das ist ja der Waaahnsinn!!!» Ich kralle mich an der Stuhllehne fest, um nicht gleich vor Freude aufzuspringen. Patrizias Bein-Seitenhieb trägt das Seine dazu bei, dass ich sitzen bleibe. Sie stutzt mit ihrer Korrekturitis inzwischen auch uns zurecht. Beruhigt grabe ich meinen grossen Zeh’ nochmals fest in meine Wollsocke, um mich zu vergewissern, ob ich wirklich richtig gelesen habe. Mit einer gekonnten Handbewegung klappe ich meine elastische Lesebrille aus meiner Blusentasche, schnappe mir ein Einwegtuch aus Döbelis auf dem Sims gelagerten Reinigungstücher-für-Tablets-Box und poliere die Gläser gleich lässig wie den Bildschirm, justiere beides, bevor ich mir den Inhalt– so nah gezoomt wie möglich – reinziehe: «Einladung zum Business-Lunch zum Thema neue Autorität». «Genau das ist es!», fällt mir die Erkenntnis lauter von den Lippen als gewollt, worauf mich unser Hauswart Albert irritiert anschaut, da er gerade davon berichtet, dass er ab sofort die Raumzimmertemperatur auf 18°C senken werde. «Genau das ist es!», bestätigt mein Herz erneut. Endlich lassen sich die Schulen auch ein wenig von der Wirtschaft inspirieren. Autorität, just in time – das ist es, was ich brauche.

So hatte ich es mir ausgemalt, als ich das Anmeldeformular für die Quereinsteigerausbildung an der PH ausgefüllt hatte. Es braucht mehr Business in diesem Pädagogik-Dschungel und ganz sicher endlich eine vernünftige Lösung im Umgang mit diesen zügellosen Individualistenkindern. Die neue Autorität von Haim Omer, was für eine Verheissung und das Ganze erst noch in Form eines Business-Lunch. Ich sehe mich schon als strahlende Leitfigur vor einer Horde Pubertierender, die jede meiner Anweisungen unhinterfragt befolgen. Ich führe die Jugendlichen in die wichtigen Themen des Schulstoffes ein und sie hängen an meinen Lippen. Sie bedanken sich nach der Stunde und bringen mir am frühen Morgen unaufgefordert ihre Hausaufgaben zur Kontrolle. Ich werde zum Leuchtturm einer neuen Pädagogik, die dank mir, bis in den hintersten Winkel des Schulhauses strahlt.

Die Sitzung – leider kein Leuchtturmprojekt zum Thema «Neue Autorität in der Schulleitung» – geht zu Ende, wie sie begonnen hat. Nachdenklich kehre ich zurück in mein Schulzimmer, um noch den Unterricht des nächsten Tages vorzubereiten. Ich scheitere bereits an der Tür, wo einer meiner Verhaltenskreativen als Willkommensgeschenk die Türklinke abgerissen hat. Desillusioniert lasse ich mich zwischen liegengebliebenen Rucksäcken auf die Bank der Garderobe sinken. Traum und Wirklichkeit klaffen wieder einmal weit auseinander.

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