Schon auf dem Weg zum Kapitel frage ich mich, ob ich wirklich zu all diesen Personen passe, die da auf unseren Mehrzwecksaal zuströmen. Auf den Tischen im Saal liegen die Listen der Teilnehmenden. Es soll ja Kapitel geben, wo diese Hefte erst am Schluss aufgelegt werden, zum Glück nicht bei uns! Nachdem ich mich eingetragen habe, könnte ich eigentlich sogleich wieder verdampfen!  Soll ich Bernie, der sowieso schwänzen wird, auch eintragen? Sicher nicht! Die Varkidakis von der Schulpflege soll ruhig sehen, dass ihr Liebling seinen Pflichten nicht nachkommt. Aber die wird’s ohnehin nicht kapieren, da sie gar nicht weiss, was ein Kapitel ist!

Ich suche mir einen Platz in den hinteren Reihen, sodass ich wenigstens den Überblick behalte. Auch kann ich mich da gut verstecken, falls sie wieder mal jemanden für ein Ämtchen oder etwas Ähnliches suchen.  Allenfalls preicht es mich da zwar als Stimmenzähler, aber damit kann ich noch leben.

Seit dem Kapitel nur mehr zweimal jährlich stattfindet, Gottseidank, stehen lediglich noch irgendwelche langweiligen Vernehmlassungen auf dem Programm. Auch heute geht’s mal wieder um Lehrmittel. Ich frage mich da schon, weshalb wirklich die gesamte Basislehrerschaft über die Thesen unserer Verbände lamentieren und befinden muss. Reicht es nicht einfach, dass sich einige Personen mit der Sache auseinandersetzen und das weiter reichen? So wie es jetzt geht, ist’s da auch nicht anders. Schliesslich wird alles einfach durchgenickt.

Und ich von meiner Seite mache da sowieso alles so, wie ich es selber für richtig halte. Ich brauche weder einen Lehrplan noch ein modernes Lehrmittel. Was soll ich mich mit Thesen von einem Sprachwelt Deutsch auseinandersetzen, wo ich es doch heute zum ersten Mal auf den Folien gesehen habe, die Raniero vorgestellt hat? Ich habe mich völlig vom Lehrmittelmarkt entkoppelt. Spare in der Zeit, so hast du in der Not. In meinem Fall ist es ein halbes Palett «Deutsch für Dich», das ich im Lehrmittelkeller eingebunkert habe. Es ist zwar etwas in die Jahre gekommen, meinen Schülern schadet das aber nicht.  Die Illustrationen erinnern mich irgendwie an ein Wandbild in unserem Schulhaus. Schade, dass sich der Heimatschutz nicht auch ums Papier kümmert.  Wenn man mich mal fragen würde, ich wüsste schon, wie man ein Lehrmittel machen müsste!

Zwei Reihen vor mir ist Patricia wirklich am Korrigieren ihrer Grammatikprüfungen und zelebriert damit ihre ständige Überlastung als -Lehrerin. Wenigstens eine hier im Saal ist glücklich. Ich begreife nicht, wie man seine Erfüllung finden kann, indem man ständig Schülertexte mit Rotstift verunstaltet und mit sogenannt eminent wichtigen « Lückentextprüfungen » die Schüler quält.  Der Stein wird schliesslich nicht schwerer, wenn man ihn öfters wägt. Und mir gäbe es viel zu viel Aufwand zum Korrigieren!

Endlich hat Raniero den Folienparcours durch. Jemand schlägt vor, die Thesen zu Paketen zu schnüren, um dann alles völlig armschonend durchzuwinken. Hoffentlich ist keiner dieser Überkorrekten dagegen. Willy wird unruhig auf seinem Stuhl… Glück gehabt, er lässt es bei einem hörbaren „Laut der Missbilligung“ bewenden. Während sich meine Nachbarinnen ereifern, dass sich trotz wortgewaltigen Abstimmungen nichts ändere, überlege ich, ob man diese Abstimmungen mit etwas Rhythmus nicht in gewaltige „La-Ola-Wellen“ verwandeln könnte. Etwas Stadionatmosphäre würde diesem Kapitel gut tun.

So, jetzt habe ich genug. Schliesslich bin ich aus einem triftigen Grund in der hintersten Reihe. Man hat ja sonst kaum Zeit, um sich die Haare schneiden zu lassen. Klammheimlich schleiche ich mich bis zur Tür, die mit ihrem Knarren die Aufmerksamkeit der Versammelten Lehrerschaft auf sich zieht.

Artikel herunterladen Übersicht Kolumnen