«Du, Hannes», sagte mir Silvia, als sie das Buch («In 80 Stationen um die Welt» von Bernhard Thurnheer) auf ihr Nachtischchen gelegt hatte. Silvia, meine Frau, beginnt immer mit «du, Hannes», wenn sie etwas von mir möchte. «Du, Hannes», begann sie also, «wie fändest du es eigentlich, wenn wir nächsten Sommer eine Weltreise starten würden?» «Eine Weltreise??!!» Silvia kuschelte sich an mich und fuhr fort: «Schatz, was sagst du? Wir leben nur einmal und ich glaube uns täte so eine Reise auch ganz gut – so eine Art ‹refresher›», hörte ich nur noch knapp – und schlief sofort ein.
Am nächsten Morgen änderte ich spontan meine Geografie-Lektion ab und gab der Klasse den Auftrag, für mich und meine Frau eine umweltfreundliche Weltreise zu planen. Budget: Fr. 20000.–; Reisezeit: Ein Jahr. Unsere reisebedingten CO2-Emissionen seien so gering wie möglich zu halten. Die Dreiergruppe mit dem besten Programm und den tiefsten CO2- Emissionen gewinne einen Eintritt ins Kino. Sebi, Leon und Marta kauften virtuell für $4000.– ein Segelboot und tauften es gleich «Klasse 3a forever». Die kleine Schampusflasche schmissen sie an die Wandtafel, wo sie mit Kreide ein Segelboot mir farbigen Segeln gezeichnet hatten. Leon war als Matrose verkleidet und erklärte: «Zuerst Menorca. Ab da folgen 43 weitere Inseln rund um die Erde – Island hopping Worldwide.» Die Gruppe mit Lisa, Noah und Ravi präsentierte: «Bike around the World – wir setzen auf Zug und Fahrrad. Und damit Sie und Ihre Frau neue Dimensionen in der Ehe erleben, sind Sie mit einem E-Tandem unterwegs.» Ich kam aus dem Staunen nicht mehr heraus: Diese Mischung aus Tatendrang und Organisationstalent meiner Sek-B-Klasse machte mich sprachlos.
In diesem Moment klingelte mein Handy! Meine Schüler/innen zeigten sofort mit dem Finger auf mich und schrien in ohrenbetäubender Lautstärke «Eintrag! Eintrag! Eintrag!» Dann ging plötzlich unser Beamer wie von Zauberhand an und Greta Thunberg erschien dreidimensional als Hologramm über der Wandtafel schwebend. In Sekundenschnelle war es totenstill im Schulzimmer, alle Münder waren sperrangelweit offen, mein Handy klingelte weiter – ich nahm den Anruf an:
«Da isch Döbeli, hallo?»
»Hi, it’s me, Greta Thunberg.” «—»
»Mr. Döbeli, are you there?” »Äh, yes, Döbeli here, what a äh…surprise.”
»Your students seem to have wonderful projects. I just wanted to ask you what measures you take, as a Swiss teacher, to help stopping the climate change and destruction of our planet.”
»Äh, yes, … – you know, it’s not that easy.”
»I know – nothing is really easy, is it? The world is collapsing – don’t you see?”
»Äh, yes… You’re so right… äh, you know, we Swiss are inventors, and we can organize things very well… We have for example the Gotthard-Tunnel or Swiss- Miniature…”
»That’s nice to hear, Mr. Döbeli, but we need more. Do something, please! You and the rest of the teachers around the world are far too passive! – HOW DARE YOU BE SO PASSIVE?!!!! DO SOMETHING NOW!! WAKE UP – DÖBELI!!!!!!”
Silvia kam mit einem Tablett ins Schlafzimmer, auf dem zwei dampfende Teetassen standen; sie redete schon ganz munter, aber ich hatte noch meine Ohrstöpsel drin und verstand darum nichts wirklich. Ich ruderte mit den Armen, um mich aus den Tiefen des Bettes zu befreien und fühlte mich noch ganz schlaftrunken und irgendwie erschlagen; es war mir, als hätte ich etwas geträumt, ich konnte mich aber nicht recht erinnern – irgendwas mit einem Segelschiff und Schule. Ich nahm die Ohrstöpsel raus, da hörte ich Silvia sagen: «Was hältst du jetzt von der Idee mit der Weltreise?» «Und was ist mit der Schule?» Ich nahm meine Tasse und blies in das klare Grün. Für einen kurzen Moment schien im Tee der alles sagende Blick eines Mädchens mit zwei Zöpfen zu schimmern.
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