Immer am Dienstagmorgen klingelt mein Telefon. Ich weiss, wer dran ist, ohne einen Blick aufs Display zu werfen.

«Schönen, guten Morgen, liebe Sonja. Hast du ein gutes Wochenende gehabt? Wie geht es dir?»

«Hallo Ernst. So weit gut, aber…»

«Du, ich falle gleich mit der Tür ins Haus», nett nach dem Befinden fragen, aber keinen Raum für die Antwort lassen. «Konntest du den Prozessablauf für den DaZ-Unterricht soweit verschriftlichen? Weisst du, heute Abend an der Behördensitzung sollte ich…»

«Waren wir nicht übereingekommen, dass Luca das macht? Ausserdem ist die Sache recht verzwickt. Die letzten Wochen haben gezeigt, dass wir jedes Kind individuell betrachten müssen. Da gibt es – so attraktiv das wäre – nicht viel zu standardisieren.»

«Ich habe dich nachträglich im SLK-Protokoll eintragen lassen. Hast du’s nicht gesehen? Du hast schon recht, wir hatten in der Sitzung den SL Sunnemätteli für die Aufgabe bestimmt, aber der ist erst anderthalb Jahre im Amt. Da hat er einfach nicht den nötigen Überblick. Und da Ruth das DaZ in ihr Ressort geholt hat, möchte ich einfach auf Nummer sicher gehen. Du weisst ja, wie sie ist, seit sie ihre Kandidatur fürs Präsidium bekannt gegeben hat. Meinst du, du bringst die Prozessdokumentation bis heute um 16 Uhr zusammen?»

Mit dem Argument, dass jemand erst eineinhalb Jahre im Amt ist, nimmt man alle anderen aus dem Rennen. Unsere Primarschulleiter/innen werfen nämlich nach spätestens zwei Jahren das Handtuch. Die einzige Erfahrene bin dann immer ich, aber so leicht mache ich es ihm diesmal nicht.

«Das passt mir jetzt wirklich schlecht. – Gell, an der Sitzung von heute kommt auch noch die Ressourcenzuteilung zur Sprache. Ich wäre froh, wenn du schauen könntest, dass wir mit den vielen gemeldeten ISR-Schüler/innen genügend Stellenprozente bekommen. In der Sek sind die ein bisschen schwieriger zu bändigen, da können wir mit ein paar Mandalas nicht mehr viel ausrichten. Wenn du mir da den Rücken freihältst, könnte ich mich heute auf den Prozessablauf konzentrieren.»

«Du weisst, mir sind die Hände gebunden. Mach dir nicht zu grosse Hoffnungen, ich bin ja nur mit beratender Stimme dabei. Und ich muss doch alle meine Schäfchen gleichermassen berücksichtigen.»

«Das denke ich auch immer, wenn ein Drittel der Kosten für den Schulbus, den wir nie beanspruchen, von unserem Globalbudget abgezogen wird.»

«Sonja, diese Diskussionen führen ins Uferlose. Das weisst du doch. Vergiss bitte nicht, eine kleine PowerPoint zu erstellen, damit ich dein Konzept würdig in der Behördensitzung präsentieren kann. Vielen Dank und einen produktiven Morgen!»

Salbungsvoll verabschiedet sich unser Leiter Bildung und lässt mich mit einem Berg Arbeit zurück. Schön, dass diese neue Hierarchiestufe geschaffen wurde. Endlich koordiniert einer die Arbeit, die wir ohne ihn gar nicht hätten. Und könnte man ihn einmal brauchen, verschanzt er sich immer hinter seiner «beratenden Stimme».

Als ich mir im Lehrerzimmer einen Beruhigungstee machen möchte, treffe ich auf Albert Jauch, der dort neuerdings täglich während gefühlt zwei Stunden Kaffeepause macht. «Albert, gut dass ich dich treffe. Könntest du mal die Bänke aus dem Korridor entfernen, die du dort abgestellt hast, um das Einbahnsystem nach der ersten Welle einzurichten?»

«Klar, kann ich machen, aber du musst erst ein Ticket schreiben.»

Der alte Fuchs hat wieder mal einen Trick gefunden, um sich die Arbeit vom Leib zu halten. «Ich weiss nicht, welchen Raum ich im Ticketsystem anklicken muss, weil der verdammte Korridor keine Raumnummer hat.»

«Tja, ohne Ticket kann ich nichts machen. Ich muss meine Arbeitszeit bei der Liegenschaftenabteilung auch irgendwie dokumentieren.»

Ich fühle mich nur noch müde. Wir brauchen kein Virus, um unsere Schule lahmzulegen; das schafft die hauseigene Bürokratie von alleine.

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