Montagmorgen um neun vor dem Bahnhof. Ich bin offen für die Woche. Nichts kann mich aus der Ruhe bringen. Alles ist gut.

Auf dem Gleis herrscht Ausnahmezustand. Fast 40 Jugendliche und ein paar Eltern, die es nicht lassen können, uns hämisch eine schöne Woche zu wünschen, stehen Spalier. « Sie, Frau Partelli, wann kommt Herr Schmalz?» Stimmt, meine Lagerbegleitung ist noch nicht da, wie « überraschend». In diesem Moment sehe ich ein bekanntes Antlitz in der Bahnhofskneipe hinter einem Tagesanzeiger hervorlinsen. Unser Zug fährt ein und nach zwei Minuten wilden Gerangels haben alle einen Platz gefunden. Der Zugbegleiter pfeift und in letzter Sekunde zwängt sich Bernie durch die Tür. Er wirft einen Blick nach draussen und fragt nonchalant: « Sind alle eingestiegen?» Noch 101 Stunden bis Buffalo. Mit der Fahrt ins Tessin, dem Bezug der Zimmer und dem Besuch der Seebadi vergeht der Tag wie im Flug. Abends um Viertel vor elf postieren Bernie und ich uns auf dem Sofa vor den Zimmern und sammeln die Handys ein. Da bereits Nachtruheherrscht, müssen alle flüstern, was nicht ganz einfach ist, wenn man gerade einen Lachanfall hat. Elvin scheint eine schwache Blase zu haben, er torkelt innerhalb von fünf Minuten dreimal ins Badezimmer und zurück. Langsam wird es ruhiger. Bernie und ich schauen uns hoffnungsvoll an und schleichen dann in unsere eigenen Zimmer. Ich bin grad am Eindösen, da klopft  es  an meiner Tür. « Sie, Frau Partelli, im Zimmer 12 ist wieder Lärm, können Sie mal nachschauen?» Noch 86 Stunden bis Buffalo.

Am Mittwochmorgen regnet es so heftig, dass ich kaum den Bus erkennen kann, der uns zum Kletterpark fahren soll. Trotzdem geht es los, denn Swissmeteo kündigt eine baldige Wetterberuhigung an. Im Kletterpark bekommen wir eine vertiefte Instruktion über die Funktion des Klettergurts. Nuria und Nelio finden  es  spannender,  sich gegenseitig zu fesseln, aber ich erkläre ihnen « gerne» nochmals alles im Detail. Der Regen hat in der Zwischenzeit nachgelassen und es tropft nur noch sanft von den Blättern. Alle Holzteile und Seile sind jedoch voll gesogen mit Wasser und so glitschig, dass meine Höhenangst einen neuen Höhepunkt erreicht. Irgendwie schaffe ich es doch, mit der langsamsten Gruppe den grünen Parcours zu überleben. Nach zwei Stunden haben fast alle genug. Nur Hans, Ivanka, Pietro und Sandra beschliessen, nochmals den schwarzen Parcours zu durchklettern. Da bricht plötzlich Hektik unter den Guides aus: « Signora Partelli, wir müssen Ihre Gruppe aus den Bäumen evakuieren, ein Gewitter dreht genau auf uns zu.» Noch 46 Stunden bis Buffalo.

Der Rest der Woche geht irgendwie an mir vorüber. Es passiert auch kaum mehr etwas Erwähnenswertes, ausser dass Jerome von einem seltsamen Käfer in den Brustmuskel gebissen wird, wodurch dieser auf die doppelte Grösse anschwillt und dass Selin am Schlussabend aus Versehen verrät, dass sie in Oliver verliebt ist, obwohl dieser nur Augen für Bruno hat. « Sie, Frau Partelli, können wir heute mal nicht so früh ins Bett?» Noch 15 Stunden bis Buffalo. Als Letztes steht die Reinigung der Unterkunft an. Hier zeigt sich deutlich, wer noch nie einen Besen von nahe gesehen hat. Immerhin kann ich mich an einigen Schülerinnen und Schülern rächen, die sich während der Woche durch « gutes» Benehmen hervorgetan haben und ihnen die besonders beliebten Ämtli wie WC-  und Duschen-Reinigen übertragen. « Sie, Frau Partelli, wem gehören diese roten Socken?» Noch 4 Stunden bis Buffalo.

Auf der Heimfahrt ist es ruhig, alle sind müde von den vielen Eindrücken und der letzten Nacht. Am Bahnhof werden wir von einigen Eltern und von unserer Schulpflegerin Ruth Varkidakis erwartet. « Du, Patrizia, ihr seht aber erholt aus. Hattet ihr schöne Ferien?» Willkommen in Buffalo.

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