Ich habe gerade eine Zwischenstunde und warte auf das erste E-Mail. Am Dienstagmorgen hat der dritte Jahrgang Projektunterricht und auch sonst liegt der Stundenplan so, dass nach Murphys Ge- setz allerorten etwas schiefläuft und meine Hilfe als PICTS-TICTS gefragt ist – so heisst auf neudeutsch der Informatikkustos. Jemand hat ja immer ein Problem: Der Bildschirm ist kaputt (weil er nicht eingesteckt ist), das Passwort will nicht (weil ein Schüler das Post-it am Bildschirm «gesehen» und ein neues gesetzt hat) oder der Zugang zur Schulcloud funktioniert mal wieder nicht (weil der Computer sich im Gast-WLAN befindet)… Das Telefon reisst mich aus den Gedanken, Fehlalarm: Die Schulleiterin höchstpersönlich und wie immer ultradringend. Besorgte Eltern haben sich nach dem Infoabend gemeldet: Strahlenbelastung durch das neue WLAN und weitere Bedenken müssen entkräftet werden.

An der Wand des Büros sehe ich, dass unsere Schulleiterin noch voll analog unterwegs ist: Post-its in allen Farben. Das ist der Zeitpunkt, um Sonja «Linoit» zu zeigen, eine App, mit der man solche Zettel elektronisch verwalten kann. Sehr praktisch, dann kleben sie am Ende auch nicht am Rücken von unserem Hauswart. Angenehmer Nebeneffekt: Vielleicht vergisst sie darob, dass sie mir die quengelnden Eltern und ihre Fragen abschieben wollte. Dank Demo-Effekt funktioniert gar nichts, obwohl ich die App dreimal neu starte und zweimal frisch installiere. Beim Hinausgehen fällt mein Blick auf einen Ablagestapel: Da liegt mein mühevoll erarbeitetes ICT-Konzept. Dank diesem Papier hätten die Lehrpersonen ihre Kenntnisse auf einen halbwegs zeitgemässen Stand bringen sollen. Ruth Varkidakis, unsere Schulpflegerin, sieht in ECDL-Modulen die Zauberformel, mit der auch die verstocktesten Lehrpersonen fit für die Digitalisierung getrimmt werden. Leider hat dieser Zauber noch bei fast niemandem seine Wirkung entfaltet. Die meisten tun bis zum Prüfungstermin nichts, um sich dann wortreich mit sogenannt «pädagogischen» Argumenten zu rechtfertigen. Seit ich diesen Knochenjob mit der ICT-Ausbildung der Lehrpersonen gefasst habe, erscheint mir die Arbeit mit den Schülerinnen und Schülern wie ein Sonntagsspaziergang… Die Mailbox ist immer noch leer. Das wird definitiv ein ruhiger Morgen. Nicht mal Ruth meldet sich. Sonst vergeht kein Tag, an dem sie einen neuen Furz im Zusammenhang mit unserem 1:1-iPad-Projekt durchspielen möchte. Sie träumt davon, dass wir einen Bildungspreis einheimsen. Alle wollen auf diesen Zug aufspringen. Wir wären dann so ein wenig Schule 4.0, auch wenn wir die Technologie mehr einfach besitzen als wirklich nutzen.

Es behaupten zwar alle, dass sie ständig mit den Tablets arbeiten würden, auch wenn sich dies auf eine einzige App beschränkt. Patrizia lässt täglich Vokabeln mit «Quizlet» büffeln, Bernie speist die Unbegabten nur noch mit «Tinker- CAD» ab, damit sie ihre Werkarbeiten am Bildschirm zeichnen und nichts mehr zerstören können. – So hat jeder seine heilige App und der Rest ist ihm Schnurz, ausgenommen «kahoot». Das benutzen alle, um ihre öden Lektionen mit einem Quiz aufzupeppen, was den Schüler/-innen im besten Fall noch ein müdes Lächeln  entlockt.

Immer noch kein Mail. «Hast du dein WLAN absichtlich deaktiviert?», fragt Steve, der wie immer ohne zu klopfen ins Zimmer gekommen ist. «Äh… natürlich, ich muss Kabel testen», gebe ich wenig überzeugend zur Antwort. Ich kann nur hoffen, dass diese Plaudertasche für einmal die Klappe hält. Wäre ja zu peinlich, wenn das im Schulhaus die Runde macht. Abwesend höre ich seinen Bericht zu einem schwierigen Schüler und starre gebannt auf das Mailprogramm. Kaum läuft das WLAN wieder, erscheint der blaue Balken. Uff, nur ein Mail verpasst. Von Sonja. Sie schickt mir alle kritischen Fragen des Elterninfoabends mit Feldern für meine Antworten als schier endlose Tabelle. Mist!

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