Sie denken, im Schulhaus Brunnacker geht es pädagogisch wertvoll zu und her? Falsch. Im Untergeschoss fliesst heute – trotz Lebenserfahrung von Anja Schulz – Blut.

Fünf Minuten vor dem Läuten stürmen die Erstklässler in die Schulküche. Auf der Wandtafel steht «Cordon Bleu». Als Marco das Rezept gelesen hat, geht er vor Begeisterung in die Knie. Die Mädchen bleiben skeptisch. Cordon Bleu? Ist der Käse obligatorisch? Gibt es eine vegane Variante? Eine glutenfreie? Ich bleibe cool, denn ich bin ja so was von vorbereitet. Im Vorratsschrank hat es eine Packung Teigwaren. Glutenfrei und vegan, das sind feste Werte in unserer Schulküche. Keiner will sie tatsächlich essen, aber verlangt werden sie regelmässig.

Fleischessen ist ein Menschenrecht, finden die Carnivoren, während ich sie in die Geheimnisse der Panierstrasse einweihe. Merke: Das Dossier «Die Folgen des globalen Fleischkonsums» würde jetzt alle gegen mich aufbringen. Nach dem Essen können wir immer noch das Oekopoly aus dem angrenzenden Luftschutzkeller holen und das Thema Umwelt spielerisch vertiefen. Veränderungen in der Gesellschaft allzu forsch anzugehen, kann kontraproduktiv sein. Aber bis die Gemeinde klimaerwärmt vor sich hin schmachtet, bleibe ich meinen Schulkochrezepten treu.

«Sieeeeee, die Teigwaren sind abgelaufen!» Nadia starrt mich vorwurfsvoll an. Bevor ich «Food Waste» aussprechen kann, kippt Leos Paniermehldose auf den Boden. Ich deute mit dem Kopf drohend auf den Staubsauger, Nadias Gruppe bringe ich eine Packung Reis. Trotzdem ahne ich Schreckliches. Als Nadias vegane Wurst letzte Woche in derselben Hot Dog Maschine wie alle anderen landete, schickte ihre Mutter zwei Stunden später eine bitterböse E-Mail. Leo verpasst sich mit dem Staubsauger eine neue Frisur. Ich ziehe den Stecker aus der Dose. Wenigstens das zeigt Wirkung. Leo fängt mit Panieren an.

Während ich über meinen Ruf als Pädagogin nachdenke, wird das Klopfen der Fleischhämmer so laut, dass ich den Abwart Jauch erst sehe, als er sich vor mir aufbaut. Toll, dass der sich im Untergeschoss auch mal blicken lässt. Wird der Beamer in der Schulküche Realität? Ein Hoffnungsschimmer glimmt auf. Mit ein paar Bildern aus dem abgeholzten Regenwald könnte ich das Umweltbewusstsein der Carnivoren vielleicht leicht auf- und ihre Fleischeslust abbauen. Mein Votum an der letzten Schulkonferenz war nicht vergebens! Doch der Antrag, klärt mich Jauch auf, kann erst im Rahmen des nächsten Schulhaus-Umbaus im Jahr 2030 eingereicht werden. Bis dann hat das Klima die Menschheit wahrscheinlich niedergegart. Mein apokalyptisches Weltbild braucht jetzt dringend etwas Kochschokolade.

Gereizt öffne ich den Weihnachtsschrank. Zuerst ploppen mir Tannenäste entgegen, dann fällt mir staubige Lametta auf den Kopf. Nur jetzt nicht aufgeben, denke ich, und versetze dem steinharten Puderzuckerlager einen Tritt. Und richtig, da fällt die Kochschokolade auch schon hinunter. Ich versuche, mir ein Stückchen abzubrechen. «Frau Schulz?» Vor mir steht Leo mit der Staubsaugerfrisur. Widerwillig stopfe ich die Tafel wieder zurück an ihren Platz. «Können Sie uns das das Braten zeigen?» Ah ja, die Klasse.

In den Küchenkombination raucht das Öl in den Pfannen. Die Carnivoren nutzen Pfannendeckel als Schutzschilder und Bratschaufeln als Schwerter, die Veganer reichern das Risotto mit Reibkäse an. Jetzt gilt es, Ruhe zu bewahren. Wir braten, schneiden Zitronen auf, machen Sirup und holen die Fleischmesser aus den Schubladen.

Minuten später ist es einen Moment lang ruhig. Marco und Leo kauen aus vollen Backen, die Risotto-Ecke löffelt. In diesem Augenblick klopft es an der Tür und die Schulpflegerin Ruth Varkidakis linst um die Ecke. Als sie uns friedlich vereint am Esstisch sieht, beginnt sie zu strahlen. Ich kann ich ihre Gedanken förmlich lesen. Gemeinschaftsgefühl, Binnendifferenzierung, Qualitätsmerkmale, neue Perspektive!

Trotzdem hat sie meinen Beamer abgeschmettert. Ich umklammere das frischgeschliffene Fleischmesser mit beiden Händen und gehe langsam auf sie zu.

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