Zürich hat das Knabenschiessen und wir im Brunnacker zur gleichen Zeit die Elternratssitzung. Ich weiss nicht, wo es mehr knallt. Dabei hatte ich das Treffen liebevoll vorbereitet. Jede Teilnehmende hat ein Blüemli aus Moosgummi mit dem Namen vor sich. Die Servietten habe ich mit Kartoffeldruck verziert. Dank Sonja, der Schulleiterin, habe ich das Lehrerzimmer mit der tollen neuen Kaffeemaschine reservieren dürfen. Doch der Kaffeegenuss wird durch die Ausführungen von Hedwig Grob aufs Ärgste getrübt.

«Am Donnerstag um sieben Uhr früh, also noch in den Ferien, habe ich bei Frau Partelli angerufen. Soledad hat ein neues Bauchnabelpiercing, das war das Geschenk der Grossmutter auf ihren vierzehnten Geburtstag. Nun wollte ich die Lehrerin bitten, meine Tochter für die nächsten drei bis vier Wochen vom Sportunterricht zu entschuldigen, da die Wunde immer noch schmerzt. Aber was meinen Sie? Nein, kein Verständnis für die Anliegen und Bedürfnisse der Pubertierenden. Nur immer Leistung im Kopf, so sind die in der Schule heute. Sowieso, mit dem Zeugnis bin ich ganz und gar nicht einverstanden, das ist reines Mobbing. Ich habe keine Ahnung, was die Partelli gegen Soledad hat. Nun soll meine Tochter auch noch abgestuft werden. Soledad arbeitet so hart, wenn sie kann. Ihr Immunsystem reagiert halt auf kleinste Ungereimtheiten, oft klagt sie über Kopfschmerzen und Unwohlsein. In diesem Zustand kann sie doch nicht zur Schule. Das Total im letzten Semester: 65 Halbtage. Aber man muss doch sehen, dass das gegenüber der ersten Sek eine gewaltige Verbesserung ist. Stattdessen muss sie sich von Lehrerin und Kameradinnen anhören, warum sie nach einer krankheitsbedingten Abwesenheit gleich noch einen Jokertag nimmt. Das ist Mobbing. Jede Schülerin hat das Recht auf zwei Jokertage, basta!»

Frau Grob hat sich in Rage geredet und ist kaum zu bremsen.

«Also, liebe Hedwig», fange ich vorsichtig an, «vielleicht wäre es gut, wenn du das Gespräch mit der Schulleitung suchst. Die hat immer ein offenes Ohr für die Anliegen der Eltern. Ich habe mit Ihr durchaus gute Erfahrungen …»

Leider war mein Schlichtungsversuch eher ein Steilpass für den nächsten Nörgler: «Da habe ich aber ganz anderes erlebt. Als wir als Familie beschlossen, fünf Wochen Ferien in Australien zu machen, da sagte doch die Schulleitung schlicht nein dazu, dass wir unsere Tochter im November aus der Schule nehmen könnten. Dabei ist das die ideale Reisezeit.»

«Die Inkompetenz der Schulleitung kann ich nur bestätigen», ergänzt Mutter Hugentobler «Agamemnon, mein Sohn konnte einfach keine Prüfungen mehr schreiben. Die seelische Belastung war zu gross. Zuerst die Partelli und dann auch die Schulleitung fanden, dass er zum Psychologen sollte. Doch im Grunde liegt das Problem darin, dass es viel zu viele Prüfungen gibt und auf die seelische Verfassung der Jugendlichen keinerlei Rücksicht genommen wird.»

Langsam schalte ich auf Durchzug. Eigentlich stünde ja das Programm des neuen Schuljahrs auf der Traktandenliste. Seit zwei Jahren bin ich Präsidentin des Elternrats im Brunnacker. Es gibt immer viel zu tun, wenn man sich zum Ziel gesetzt hat, das Amt nicht auf das Kuchenbacken am Besuchsmorgen zu reduzieren. Für den Bewerbungsprozess in der Berufswahl haben wir ein tolles Konzept zusammengestellt. Nur leider werden wir heute nie zu Traktandum vier gelangen und die praktische Umsetzung diskutieren können. Der häufigste Wortwechsel nach einer Stunde Sitzung: «Soll ich das protokollieren?» – «Nein.» Das macht schon irgendwie müde und plötzlich keimt tief in mir drinnen so etwas ähnliches wie Verständnis für das Leiden der Lehrpersonen auf. Leute wie die Grob oder die Hugentobler stärken zwar die Resilienz der Lehrpersonen. Trotzdem frage ich mich, ob es nicht sinnvoller wäre, wenn sie sich etwas mehr auf die Stoffvermittlung konzentrieren könnten, denn mein Kevin kommt jetzt in die 2. Sek und da wäre es doch schon angenehm, wenn er noch etwas lernen könnte und die Partelli sich nicht nur mit diesen Eltern rumschlagen müsste. Aber jetzt ist sie ja schwanger, und das in ihrem Alter! Seit sie letzten Herbst verliebt aus den Ferien zurückgekommen ist, ist sie nicht mehr dieselbe.

Eigentlich wäre ich ja für das Zölibat von Lehrpersonen über 40… Dann hätten die Pädagoginnen und Pädagogen mal endlich Zeit, sich auf das wirklich Wesentliche zu beschränken. – Vielleicht sollte ich dieses für die nächste Sitzung traktandieren. Dann wäre mir die Aufmerksamkeit des Elternrats für einmal gewiss.

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