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«Nulltoleranz und Prävention haben sich als hilfreich erwiesen»

Als Bildungsinstitutionen tragen Schulen grosse Verantwortung, wenn es um Gewalt geht. Aber sie sind auf professionelle Vernetzungspartner und auf die Finanzierung von langfristigen Massnahmen angewiesen. Otto Bandli ist Dozent und Berater an der Pädagogischen Hochschule Zürich. Er lehrt zu Themen wie «Gewalt und Mobbing in der Schule» und berät Schulen zu diesen Themen.

von Natalie Thomma
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Herr Bandli, im Kanton Zürich haben die minderschweren und schweren Gewaltdelikte in den vergangenen Jahren laut der Polizeilichen Kriminalstatistik des Kantons Zürich (2020) zugenommen. Wie zeigt sich das in der Nutzung des Beratungsangebots?

Die Anzahl Beratungsanfragen hat sich in den letzten Jahren nicht gross verändert. Die Zunahme der Gewaltdelikte in den letzten Jahren bezieht sich vorwiegend auf Gewaltvorfälle im öffentlichen Raum. Im Schulbereich haben sich die verschiedenen Präventionsangebote, beispielsweise durch die Schulsozialarbeit (SSA) und die verbreitete Strategie der «Nulltoleranz» von Gewalt in der Schule sicher als hilfreich erwiesen. Auch ist davon auszugehen, dass der verbreitete Vernetzungsgedanke, also die Zusammenarbeit und der Austausch der Schule mit verschiedenen Institutionen, hier Früchte trägt. Ich gehe aber davon aus, dass es trotz all dieser Massnahmen nun einen Anstieg auch im Schulfeld geben wird und die Schulen einen erhöhten Beratungsbedarf haben werden.

Was fällt bei der Erfassung der gemeldeten Probleme auf?

Alle Gewaltvorfälle beeinträchtigen das Schulklima nachhaltig. Lehrpersonen sind dann besonders stark belastet, wenn in der Klasse ein rüder Umgangston vorherrscht, es zu Mobbing und zu verbaler Gewalt – Beschimpfungen, Beleidigung oder Drohungen – kommt. Anfragen zu physischer Gewalt, will heissen Schlagen und Prügeln, kommen seltener vor. Mir fällt noch auf, dass sich die Auswirkungen der Corona-Situation vor allem bei Jugendlichen in einer erhöhten Verunsicherung und Reizbarkeit zeigen und entsprechend Auswirkungen für den Umgang mit Konflikten hat, was wiederum zu Gewaltvorfällen führen kann.

Wo beginnt und wo endet die Verantwortung von Schulen, wenn es um Gewalt geht?

Primär ist es die Verantwortung der Schule, die körperliche und seelische Gesundheit sowie die Integrität aller Schüler-/innen zu schützen. Die Schule hat eine Schutz- und Vermittlungsfunktion wahrzunehmen. Das bedeutet, dass alle Beteiligten genau hinschauen müssen, bei Grenzüberschreitungen klar Stellung beziehen, eingreifen und konsequent handeln müssen. Gewalt ist immer multifaktoriell und oft ein Symptom für fehlende soziale Kompetenz. Ein Mangel an sozialen Kompetenzen kann sowohl zu aggressiven als auch zu emotionalen Problemen führen. Die Schule hat dabei als Sozialisations- und Bildungsinstanz eine zentrale Rolle. Schulische Gewaltprävention muss an den Risiko- und Schutzfaktoren der Gewaltentstehung ansetzen und betrifft die Ebenen des Schulsystems, der Schul-, Klassen-, Unterrichts- und natürlich die individuelle Schüler-/innenebene. Schulische Gewaltprävention ist aber nur ein Teil der Gewaltprävention. Es braucht auch familienbezogene Prävention und Prävention im sozialen Umfeld, in der Freizeit und auf gesellschaftlicher Ebene.

Respekt, Akzeptanz und Toleranz für individuelle Unterschiede, Partizipation sowie die Etablierung von klaren Verhaltensnormen und -regeln sind wichtige Bausteine der Gewaltprävention. Welche Rolle spielen Konsequenzen?

Regelverletzungen müssen für mich immer Konsequenzen haben. Alle Schüler/-innen haben eine klare Erwartung, dass Lehrerpersonen bei gewalthaltigen Situationen sofort einschreiten. Bei Anzeichen von wiederholtem Nichtbeachten von Regeln, aggressivem Verhalten oder Gewaltanwendung müssen Lehrpersonen sofort intervenieren. Frühe und konsequente Intervention schützt Schüler/innen vor Übergriffen, setzt die Normen in der Klasse durch und verhindert eine weitere Eskalation. Keine oder diffuse Reaktion seitens der Lehrperson signalisiert den Täter/-innen, dass Aggression erlaubt ist. Und es signalisiert den Opfern, dass es keine Unterstützung erhält und sich selbst schützen muss und auch aggressiv sein darf. Den Zuschauenden signalisiert es, dass es keine Folgen hat, wenn Aggression ausgeübt wird. Lehrpersonen sind dafür verantwortlich, dass Gespräche und Massnahmen bei ersten Grenzüberschreitungen stattfinden. Wichtig ist das Belohnen von Zivilcourage und Kooperation statt Konkurrenz und Anpassung. Führt all dies zu keiner dauerhaften Verbesserung der Situation, sind interne und/oder externe Unterstützungssysteme beizuziehen, also Schulleitung, Schulsozialarbeit, Schulpsychologischer Dienst oder Beratungsdienste.

Inwiefern kann eine Bildungsinstitution wie die Pädagogische Hochschule Studierende auf diese – anspruchsvolle – Thematik in ihrem Berufsalltag vorbereiten?

An der Pädagogischen Hochschule Zürich (PHZH) wird in der Ausbildung das Thema Gewalt explizit zum Thema gemacht und auch immer im Rahmen verschiedenster Module miteinbezogen und weiterentwickelt. Dabei achten wir darauf, dass sich die Studierenden aktiv mit den Schutzfaktoren in der Schule auseinandersetzen. Dazu gehören neben der Entwicklung sozialer Kompetenzen ein positives Schul- und Klassenklima mit Schulraumgestaltung, klare Verhaltensnormen und -regeln mit Pausenaufsicht und Pausenregelungen, die Erleichterung der Übergänge von Kindergarten in die Primarschule sowie zu weiterführenden Schulen, eine wertschätzende Lernkultur, die Sensibilisierung und Aufklärung zum Thema Gewalt. Dazu kommt die Zusammenarbeit mit Eltern, den Schulpsychologischen Diensten, der Schulsozialarbeit, der Polizei oder Suchtpräventionsstellen. Ebenso wichtig sind die Unterstützung im Lehrerteam und von den Schulleitungen sowie schulische Kriseninterventionskonzepte. Eine demokratische, wertschätzende und integrative Schulkultur gilt nach wie vor als der wichtigste Schutzfaktor vor Gewalt in der Schule.

Konflikte, Gewalt und Mobbing: Angebote der PH Zürich

Das Beratungstelefon

Das Beratungstelefon bietet kostenlose Kurzberatungen am Telefon an sowie eine gezielte Vermittlung von Beratungs- und Fachpersonen und Informationen zu spezifischen Beratungs- und Weiterbildungsangeboten an der PH Zürich.

Montag bis Freitag, 15.00-18.00

Tel. +41 43 305 50 50

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