Allen Unkenrufen zum Trotz, zu Beginn des Schuljahres 22/23 sind die Lehrpersonenstellen im Kanton Zürich auf der Volksschule besetzt. Eigentlich erstaunlich, nicht nur wegen den vielen Pensionierungen. Lehrpersonen der Volksschule scheinen von ihrem Beruf arg gebeutelt zu sein. Die zeitliche und emotionale Belastung hat bei etlichen zugenommen und die persönliche Befriedigung ist einigen abhandengekommen.
So ist es erfreulich, dass bei den Berufsschule- und Berufsmittelschullehrpersonen alle Stellen besetzt sind. Umso erstaunlicher, da seit Corona der Lehrpersonenbestand an diesen Schulen massiv aufgestockt wurde. Der Fachkräftemangel bewog den Bund, Lernenden mit einem Durchschnitt von 5.0 an der Lehrabschlussprüfung ohne Aufnahmeprüfung an die BM 2 zuzulassen.
Die Frage ist also: Weshalb gibt es genügend Lehrpersonen in der Berufsschule? Ein erster Vergleich ist der Lohn. Laut der onlineplattform Libero.ch verdient eine Anfängerseklehperson mit Fr 95 000.- Einstiegslohn rund Fr. 8000.- weniger als eine Anfängerberufsschullehrperson. Also ein erkleckliches Sümmchen. Wie aber sieht es mit der Belastung aus? Was motiviert die Lehrpersonen der Berufsschule?
Im Gespräch mit Gabriela Milicevic Decker werden diverse Bereiche der Berufsmaturitätsschule beleuchtet. Frau Milicevic ist seit vier Jahren an der Berufsmaturitätsschule Zürich als Lehrerin für Französisch, Geschichte und Politik tätig. Lehrerin zu werden, war nicht ihr erster Berufswunsch, doch um Familie und Beruf zu vereinbaren, schlug sie diesen Weg ein. Sie meint, dass es nicht wenige Lehrpersonen an der Berufsmittelschule gibt wie sie, Menschen, die, wie sie, zuerst in einem ganz anderen Bereich gearbeitet haben und mit der Zeit merkten, dass es durchaus Vorteile hat, als Lehrperson zu arbeiten. Die Vereinbarkeit mit der Familienarbeit spielt auch für die männlichen Kollegen zusehends eine Rolle. Ausserdem handelt es sich um eine Beschäftigung mit vorzüglichen Sozialleistungen, ein Argument, das mit steigendem Alter relevant wird. Das reifere Alter Berufsmittelschullehrpersonen ist bestimmt ein Grund dafür, dass diese den anspruchsvollen Herausforderungen des Berufs mit genügend Gelassenheit und Geduld angehen.
Die Lernenden in der BM müssen schulische Leistungen erbringen, die ihnen ein Weiterkommen ermöglichen. Eine grosse Erleichterung für die Lehrpersonen, denn in erster Linie wird dieser Parameter in die Waagschale geworfen. Erfüllt eine Schülerin oder ein Schüler die Anforderungen nicht, dann wird sie oder er ausgeschlossen oder beendet freiwillig die Schule.
Der Unterricht, das Vermitteln von Wissen ist in der BM zentral und begeistert die Lehrerin. Die wenigen Lektionen, die pro Fach zur Verfügung stehen, müssen ausgesprochen gut geplant sein, damit die Lernenden den grösstmöglichen Gewinn daraus ziehen können. Der Einblick in die Welt der jungen Erwachsenen sowie der Austausch mitdiesen begeistert die engagierte Lehrerin sehr.
Obwohl von der Fachschaft die Anzahl der Prüfungen und Arbeiten vorgegeben ist und es die Ziele des Rahmenlehrplanes zu erreichen gilt, ist der Gestaltungsspielraum für die Stoffvermittlung in ihren Fächern gross. Frau Milicevic meint, dass es heute auch für Studierende der Geisteswissenschaften schwierig ist, eine Anstellung in einer Bank oder bei einer Versicherung zu finden. So ist der Weg zur Lehrperson ein oft gewählter. Bereits während dem Studium wird die didaktische Ausbildung angegangen. Die Unterrichtsberechtigung an einer Mittelschule und Berufsfachschule erfordert nach erfolgtem Studium einen Fachausweis der Uni oder der Fachhochschule von 60 ECTS Punkten.
An der BM gibt es keine Elternarbeit und die Auseinandersetzung mit den Lehrbetrieben (BM1) wird an die Schulleitung delegiert. Eine grosse Entlastung für die Lehrpersonen. Zudem dauert die Vollzeit-BM 2 nur ein Jahr, so dass schwierige Lernarrangements sich fast von alleine auflösen.
Der Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen empfindet Frau Milicevic als bereichernd. SchiLFtage und Konvente bieten die Möglichkeit zu konstruktivem Austausch und zur Weiterbildung. Die Lehrpersonen unterrichten ein bis zwei Fächer, in denen sie aus dem Vollen schöpfen können.
Frau Milicevic meint, dass es eventuell bei der Ausbildung an der PH noch Verbesserungspotential geben könnte. Die Ausbildung zur Sek I Lehrperson für Quereinsteiger ist sehr anspruchsvoll und zeitintensiv. So ist es für Kandidaten mit einem abgeschlossenen Studium einfacher und attraktiver eine Ausbildung zur Sek II Lehrperson zu absolvieren.
Über 20% aller Lernenden bricht die Lehre ab. Das heisst auch, keine Integration von Lernenden mit Problemen, dafür sind andere Institutionen zuständig. Eine Entlastung für die Berufsschullehrpersonen? Ganz gewiss, denn die Verantwortung für das Lernen wird nicht an die Lehrpersonen, sondern an die einzelnen Lernenden delegiert und das heisst, dass in der nachobligatorischen Schulzeit, die Eigenverantwortung und somit auch das eigene Weiterkommen selbstbestimmt ist.
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